Predigt in der Peterskirche zu Heidelberg, am Sonntag Rogate, 22. Mai 2011
Text: 1.Korintherbrief 2,1-10
„Der Theologe sucht die Gotteserkenntnis – der Glaubende hat sie.“ Als ich diesen Satz am Anfang meines Studiums hörte, war ich schockiert, ja sprachlos. Seitdem aber ist mir die religiöse und theologische Überbietungsrhetorik in vielen Formen begegnet, sogar auch innerhalb der wissenschaftlichen Theologie. Deus semper major, Gott ist immer größer. Die Frommen und Tiefblickenden, sie haben den Zugang zu diesem Gott, der immer größer ist. Sie wissen es immer besser, sie scheuen nicht zurück vor dem Mysterium, dem Numinosum, der Transzendenz, dem Ganz Anderen, dem Paradox, der höheren Dialektik. Wenn man angesichts solcher Ansprüche und Behauptungen nicht taktvoll oder resigniert das Thema wechselt, wenn man beharrlich zurückfragt nach dieser tieferen Erkenntnis des immer Höheren, dann erhält man in der Regel ziemlich vage und wolkige Auskünfte. Die Weisheit Gottes wird nur den Auserwählten enthüllt, sie ist eben nicht Weisheit dieser Welt.
Wenn immer mir solche Rhetorik begegnet ist, musste ich an das Märchen Des Kaisers neue Kleider denken. Der in numinoser Weise alles immer wieder überbietende Gott kam mir ebenso unglaubwürdig vor wie die fromme Versicherung: Wir haben eine höhere Weisheit, wir sind mit diesem Gott vertraut, können das aber leider den Kindern dieser Welt nicht vermitteln. Weisheit, Geist, Geheimnis – sind das nur große Wörter, mit denen sich selbstgerechte Frömmler und religiöse Funktionäre gern selbst erhöhen und von denen abgrenzen, die sich nicht mit ihnen gut stellen können oder gut stellen wollen?